Samstagmorgen waren heilig – Kaffee, ein Buch und das Rascheln der Natur.
Aber ein Anruf von Ryan veränderte alles.
„Ich bin morgen da“, sagte er.
Ganz einfach.
Bis er ankam… mit seiner ganzen Familie.
Koffer, Kinder, Chaos.
Mein friedliches Zuhause verwandelte sich gerade in eine komplette Familieninvasion.
Die Welt kann brennen, aber ich werde trotzdem hier sein – auf der Veranda, mit einer Tasse frisch gebrühten, warmen Kaffees, einem Buch auf dem Schoß und den Geräuschen der Natur im Hintergrund.
Die Stadt war nah, aber von hier aus wirkte die Zivilisation weit entfernt.
Hier war nur ich, die frische Morgenluft und der langsame, friedliche Rhythmus eines Wochenendes, das sich genau so entfaltete, wie ich es mochte.
Ich blätterte eine Seite um, vertieft in mein Buch, als eine kräftige Vibration die hölzerne Armlehne meines Stuhls erschütterte.
Mein Handy.
Ich seufzte, halb genervt, halb neugierig.
Als ich Ryans Namen sah, verflog der Ärger.
Ein Lächeln huschte über meine Lippen, noch bevor ich abnahm.
„Hallo, Liebling“, begrüßte ich ihn und streckte meine Beine aus.
„Etwas Dringendes?“
Seine Stimme war warm, vertraut.
„Nicht wirklich. Ich wollte nur etwas besprechen.“
Pause.
Seine nächsten Worte fielen wie eine herabfallende Last.
„Ich habe das Ticket schon gekauft – ich bin morgen da.“
Ich richtete mich auf.
„Morgen?“
„Ja. Ich ziehe ein, wie wir besprochen haben.“
Sein Ton war leicht, unbeschwert, als wäre es nur eine kleine Randnotiz.
Ich starrte auf die Bäume vor mir, deren Blätter sanft im Morgenwind flatterten.
Morgen. Das war kein Traum.
Natürlich hatten wir darüber gesprochen, aber plötzlich wirkte es viel ernster, viel realer.
Ryan in meinem Haus.
Jeden Tag. Seine Sachen neben meinen.
Seine Präsenz, verwoben mit der Struktur meines Raumes.
„Bist du dir wirklich sicher?“ fragte er.
Ich atmete langsam ein, wie vor dem Sprung in tiefes Wasser.
„Ryan, ich habe alles durchdacht.
Ja, es ist bedeutend, aber wir sind jetzt seit sechs Monaten zusammen.
Es gibt keinen Grund, es hinauszuzögern.
Hier ist genug Platz.
Ich will mit dir zusammen sein.“
Pause, dann sein sanftes Seufzen der Erleichterung.
„Perfekt“, sagte er.
„Nur eine Kleinigkeit…“
Ich runzelte die Stirn.
„Welche Kleinigkeit?“
„Hier ist es ein bisschen laut. Ich erkläre es dir später. Wir sehen uns morgen. Ich liebe dich.“
„Ryan, warte…“
Aber die Verbindung war schon unterbrochen.
Ich starrte auf das Handy, der Bildschirm war leer, mein eigenes Spiegelbild blickte mir entgegen.
Eine kleine Kleinigkeit?
Wahrscheinlich nur Nervosität.
Er ist nervös. Das ist alles.
Trotzdem nagte etwas an mir, etwas Kleines, aber Hartnäckiges, wie ein einzelner Faden, der sich aus einem Pullover löst.
Ich nahm einen langen Schluck Kaffee, die Wärme floss meine Kehle hinab, und versuchte, den Gedanken zu vertreiben.
Was auch immer es war – ich würde morgen damit umgehen.
Ich lag falsch. So falsch.
Ich stand wie erstarrt auf der Veranda, klammerte mich ans Geländer, als könnte es mich stützen.
Mein friedliches Zuhause – mein Zufluchtsort – war gerade überfallen worden.
Es war, als würde man zusehen, wie ein Zirkus aus einem viel zu kleinen Auto klettert – nur dass das hier real war und direkt in meinem Vorgarten geschah.
Ryan stand mitten im Geschehen, sah verlegen aus, verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen wie ein ertappter Junge, der beim Keksstehlen erwischt wurde.
Aber er war nicht allein.
Seine Eltern. Seine Schwester. Ihr Ehemann.
Der große, unbeholfene jüngere Bruder, der kaum älter als ein Teenager wirkte.
Und die Zwillinge – identisch, mit weit geöffneten Augen, voller Energie – hüpften wie koffeinhaltige Kaninchen um Koffer und Taschen, die auf meiner Auffahrt verstreut lagen.
So viele Koffer.
Ich blinzelte, hoffte, es sei nur eine stressbedingte Halluzination.
Aber nein.
Ryans Mutter, Regina, lugte bereits durch meine Fenster, nickte zustimmend wie eine Immobiliengutachterin.
Ryans Schwester, Karen, schleppte einen Koffer zur Veranda, ihr Mann Ron trug etwas, das wie ein Reisebett aussah.
Und die Zwillinge?
Sie rannten kreischend im Kreis, ihre Turnschuhe klapperten über die Holzstufen.
Ich fand meine Stimme wieder.
„Was zur Hölle, Ryan?“
Er zuckte zusammen.
„Ähm, erinnerst du dich an die ‚kleine Kleinigkeit‘, die ich erwähnt habe?“
Ich starrte ihn an. Ernsthaft?
„Das ist keine kleine Kleinigkeit! Das ist ein komplettes Familientreffen!“
Ryan seufzte, fuhr sich durch den Nacken, wie er es immer tat, wenn er wusste, dass er Mist gebaut hatte.
„Wir machen alles zusammen. Das ist ein Familienprinzip. Ich hatte keine Wahl.“
Ich atmete aus, langsam, versuchte, das Pochen in meinem Kopf zu beruhigen.
„Du hattest keine Wahl?“
Ich schloss für einen Moment die Augen.
Wenn ich diesen Wahnsinn weiter ansah, würde ich durchdrehen.
Ich öffnete sie wieder und zwang mich zur Ruhe.
„Okay. Wie lange?“
Ryan zögerte.
„Nicht lange.“
Dann, leiser: „…wahrscheinlich.“
Wahrscheinlich?
Dieses eine Wort jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Ich sah wieder zur Menge.
Karen begutachtete bereits meine Gartenmöbel.
Regina sprach laut über „mögliche Verbesserungen“.
Ron richtete offenbar eine ganze Kinderstation neben meinem Schaukelstuhl ein.
Und die Zwillinge?
Sie fanden einen Stock und spielten Ritter.
„Oh, Gott.“
Die folgenden Tage wurden zur Belastungsprobe für meine Nerven.
Mein Zuhause – mein ruhiges, friedliches Zuhause – verwandelte sich in ein überfülltes, endloses Familientreffen.
Es wirkte weniger wie ein Zuhause und mehr wie ein überlaufener Gemeindesaal ohne jede Ordnung.
Jedes Zimmer war besetzt.
Jede Oberfläche war mit fremden Dingen bedeckt.
Mein Büro?
Weg.
Karen hatte es in Beschlag genommen, als hätte sie einen Mietvertrag unterschrieben.
Ihr Mann Ron und ihre Zwillinge – Dolly und Collie – hatten sich so eingerichtet, dass meine Bücherregale jetzt voller Babydecken, Spielzeug und einer Wickeltasche waren.
Einer Wickeltasche.
Die Zwillinge waren voller Energie.
Morgens, nachmittags und besonders nachts.
Sie rasten durch die Flure, ihre Füße polterten über die Holzböden wie kleine galoppierende Pferde.
Sie schrien, lachten und warfen Dinge um, von denen ich nicht mal wusste, dass man sie umwerfen konnte.
Und jeden Morgen verwandelte sich die Küche in ein Schlachtfeld.
„Mama, ich will keinen Haferbrei!“, schrie eines der Zwillingsmädchen beim Frühstück.
„Du musst aber etwas essen, Liebling“, antwortete Karen, während sie gleichzeitig ein Fläschchen hielt und Toast mit Butter bestrich.
„ICH WILL PFANNKUCHEN!“, schrie die andere, und schlug mit ihren kleinen Fäusten auf den Tisch.
Währenddessen stand Ryans Mutter Regina am Herd und stritt sich mit Karen über die richtige Art, Eier zuzubereiten.
Und Ron fummelte am Toaster herum, sodass er zum dritten Mal in dieser Woche zu rauchen begann.
Der Geruch von verbranntem Toast lag in der Luft.
Es war wie eine ständige Erinnerung daran, dass meine Geduld in Stücke fiel.
An diesem Morgen, mit dunklen Ringen unter den Augen und einer Müdigkeit, die sich anfühlte wie eine schwere Decke, schleppte ich mich in die Küche.
Mein Buch – der letzte Faden meines Verstandes – war an meine Brust gedrückt.
Alles, was ich wollte, war Kaffee.
Süßer, lebensspendender Kaffee.
Ich griff zur Espressomaschine.
Drückte den Einschaltknopf.
Nichts.
Versuchte es noch einmal.
Immer noch nichts.
Ich überprüfte das Kabel.
Tot.
Ein langsamer, kriechender Schrecken kroch meinen Rücken hinauf.
Ich drehte mich um.
„Karen“, sagte ich, meine Stimme war gefährlich ruhig.
„Weißt du, was mit meiner Kaffeemaschine passiert ist?“
„Oh!“, sagte sie mit einem Lächeln, ohne wirklich aufzusehen.
„Das war Ron.“
Natürlich war es Ron.
„Er ist völlig unfähig mit Technik“, fuhr sie fort.
„Du solltest ihn mal mit unserem Staubsauger sehen…“
Ich hob die Hand.
„Was genau hat er getan?“
Karen seufzte und winkte ab, als wäre es nichts Wichtiges.
„Er hat die falschen Knöpfe gedrückt, den falschen Kaffee eingefüllt, vielleicht etwas hineingeschüttet, wo er nicht sollte.
Jedenfalls machte sie ein komisches Geräusch und… hörte einfach auf zu funktionieren.“
Ich blinzelte.
„Ron hat meine Kaffeemaschine kaputt gemacht?“
Karen zuckte mit den Schultern.
„Na ja, es ist doch nur ein Ding, oder?
Technik kann man ersetzen.“
Ich umklammerte mein Buch so fest, dass meine Finger schmerzten.
Mein Blick wurde verschwommen – nicht von Tränen, noch nicht, sondern von purer, blendender Wut.
Ohne ein Wort drehte ich mich um und ging auf die Veranda, damit ich nicht schreien oder weinen würde – vielleicht beides.
Ich trat auf die Veranda und blieb stehen.
Meine Veranda.
Mein ruhiger, friedlicher Rückzugsort.
Oder das, was davon noch übrig war.
Und da, in meinem Schaukelstuhl, saß Thomas, Ryans Vater, mit ausgestreckten Beinen, als gehöre ihm der Platz.
Ein Teller mit einem halb gegessenen Stück Kuchen lag auf seinem Bauch.
Krümel fielen auf sein Hemd, auf seine Knie und auf meinen Holzboden, während er gemächlich ein Kreuzworträtsel ausfüllte.
Ich presste die Kiefer so fest zusammen, dass mein Kopf zu schmerzen begann.
Er sah nicht mal auf.
Kaute einfach, schrieb etwas in die Zeitung und bewegte sich leicht, sodass der Stuhl unter seinem Gewicht knarzte.
Mein Stuhl.
Mein Stuhl, in dem ich jahrelang saß, Kaffee trank, las, atmete.
Und jetzt war er voller Kuchenkrümel – und besetzt, wie mein ganzes Haus.
Eine neue Welle von Wut stieg in mir auf.
Ich war nur noch zwei Sekunden davon entfernt, ihm das Buch an den Kopf zu werfen, als ich Ryans Stimme hinter mir hörte.
„Morgen, Liebling.
Wie hast du geschlafen?“
Ich drehte mich langsam um, kochend vor Wut.
„Wie ich… Ryan, alles ist furchtbar.“
Meine Stimme war angespannt, zitternd.
„Meine Kaffeemaschine ist kaputt.“
Er seufzte und verzog das Gesicht.
„Ich weiß.
Ich kaufe dir eine neue.“
„Ich will keine neue!
Ich wollte einfach nur Kaffee trinken – in Ruhe – in meinem Haus – in meinem Stuhl…“
Ryans Blick folgte meinem – und schließlich bemerkte er seinen Vater.
„Richtig.
Warte kurz.“
Er ging zu ihm und räusperte sich.
„Papa, vielleicht überlässt du Lisa den Stuhl?“
Thomas sah auf, blinzelte.
„Oh, ja, ja.“
Er seufzte und stand auf, als wäre ihm die Situation unangenehm.
Als er sich erhob, knackte der Stuhl bedrohlich.
Ich erstarrte.