Hochzeit, die nie stattfand: Eine Geschichte über Kontrolle, Mut und ein klares „Nein“

INTRESSANT

Der fordernde Ultimatum des Bräutigams

„Entweder du überträgst das Geschäft und das Landhaus meiner Mutter, oder es wird keine Hochzeit geben!“ – erklärte der Bräutigam, als ob es um einen Geschäftsdeal ginge.

Véranna goss sich Kaffee ein und trat ans Fenster.

Die Morgendämmerung hatte gerade begonnen, und in ihrem Kopf rasten bereits die Tagespflichten vorbei.

Ein Treffen mit dem Lieferanten, Kontrolle der Buchhaltungsberichte, ein Anruf beim Kunden in Twer nach dem Mittagessen.

Ihr Zeitplan war voll, aber sie liebte das Gefühl von Ordnung.

Die kleine Druckerei, die Véranna vor fünf Jahren von ihrem Vater geerbt hatte, verlangte ständige Aufmerksamkeit.

Ihr Vater, Pollan Dimitt, hatte immer gesagt, dass ein Geschäft wie ein Kind sei: Vernachlässige es nur einen Moment, und es macht entweder Ärger oder wird krank.

Er war ein Mann der alten Schule – anspruchsvoll, prinzipientreu und hingebungsvoll.

„Véranna, das Wichtigste“, pflegte Pollan Dimitt zu wiederholen, „sind drei Dinge: Halte dein Wort, vertraue keinen Manipulatoren und respektiere Arbeit – deine und die anderer.“

Selbst ihr Wochenendhaus in der Nähe von Moskau war eher eine Verpflichtung als ein Ort der Erholung.

Dort herrschte Ordnung, eigene Regeln.

Véranna erinnerte sich, wie ihr Vater jeden Frühling plante, was gepflanzt werden sollte, und die Bedeutung der Gartenpflege betonte.

Als Pollan Dimitt plötzlich an einem Herzinfarkt verstarb, gingen sowohl das Geschäft als auch das Landhaus an Véranna über.

Viele bezweifelten, dass die junge Frau das schaffen würde, doch in fünf Jahren blieb die Druckerei nicht nur am Leben, sie blühte auf.

Das Wochenendhaus wurde ein Rückzugsort, an dem Véranna neue Kraft tankte.

Unerwartetes Verhalten des Bräutigams

Das Telefon klingelte.

Es war Amarcus.

„Guten Morgen! Schon wach, du Arbeitstier?“ – erklang seine fröhliche Stimme.

„Schon lange“, lächelte Véranna ins Telefon. „Ich trinke gerade meinen Kaffee aus.“

„Wann bist du heute fertig? Vielleicht treffen wir uns nach der Arbeit?“

Véranna warf einen Blick in ihren Planer.

„Ich bin gegen sechs fertig, aber danach muss ich noch zum Restaurant, um das Hochzeitsmenü final zu besprechen.“

„Ach, diese Hochzeit“, seufzte Amarcus mit einem müden Unterton. „Manchmal denke ich, es wäre einfacher, einfach die Papiere zu unterschreiben und auf eine Insel zu fliegen.“

„Ach komm, es sind nur noch zwei Wochen bis zur Hochzeit“, lachte Véranna. „Ich habe fast alles organisiert. Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Eben! Du hast alles übernommen, mein praktisches Mädchen.“

Einige Monate zuvor hatte Véranna Amarcus im Fitnessstudio kennengelernt, wo sie sich sofort gut verstanden.

Er war spontan, witzig und charmant – ganz anders als die ernsten Männer, die sie zuvor kannte.

Er schien perfekt.

Ein halbes Jahr nach ihrem Kennenlernen machte Amarcus ihr in einem edlen Restaurant einen Heiratsantrag, und Véranna sagte zu.

Sie war überzeugt, dass Amarcus der Richtige war.

Die erste Begegnung mit Amarcus’ Mutter, Iren Clark, war aufschlussreich.

Iren, eine schlanke, makellos gepflegte Frau in den Fünfzigern, musterte Véranna genau.

Beim Mittagessen bemerkte sie beiläufig: „Das Wichtigste in der Familie ist, seinen Mann zu halten. Amarchik ist temperamentvoll, aber wenn du bei Kleinigkeiten nachgibst, werdet ihr harmonisch leben.“

Véranna nickte, obwohl ihr diese Sichtweise fremd war.

Man hatte sie zur Unabhängigkeit erzogen.

Dennoch schwieg sie, um niemanden zu verärgern.

Das Hochzeitsultimatum

Zwei Tage vor der Hochzeit lud Amarcus Véranna zu einem „Familienrat“ ins Café ein.

Als sie eintraf, warteten dort nicht nur Amarcus, sondern auch seine Mutter Iren.

„Verotschka, Liebes“, begann Iren, „wir haben mit Amarcus gesprochen und möchten eine Idee vorschlagen… zum Wohl der Familie.“

Ein Gefühl der Unruhe überkam Véranna.

Sie spürte, dass etwas nicht stimmte.

„Wir denken“, sagte Amarcus, „dass wir uns absichern sollten. Für den Fall, dass etwas schiefläuft.“

„Wovon redet ihr?“ fragte Véranna verwirrt.

„Wir finden“, fuhr Iren fort, „du solltest dein Geschäft und das Landhaus auf mich überschreiben, sonst wird die Hochzeit abgesagt!“

Véranna bekam einen Stich im Magen. „Was…?“

„Schau mich nicht so an“, sagte Iren gönnerhaft und legte eine Hand auf Vérannas Schulter. „Es ist nur eine Formalität, für die Seelenruhe. Wenn ihr Kinder habt, überschreibe ich alles zurück.“

Véranna starrte sie sprachlos an.

Erinnerungen daran, wie Iren nach Kunden und Umsätzen gefragt hatte, schossen ihr durch den Kopf.

„Warum?“ fragte sie schließlich und blickte Amarcus direkt an. „Lieben wir uns nicht?“

„Natürlich lieben wir uns“, antwortete Amarcus schnell. „Aber das hat damit nichts zu tun. Es ist einfach… eine Versicherung. Man weiß nie.“

Iren fügte hinzu: „Eine Frau sollte das Leben genießen, nicht sich um Papiere kümmern.“

Véranna konnte nicht glauben, was sie hörte.

Sie hatte Amarcus vertraut – und nun forderten er und seine Mutter alles, was sie aufgebaut hatte.

„Hör zu“, sagte Amarcus, nahm ihre Hand. „Es ist nur eine Formalität. Mama hat recht – was macht es für einen Unterschied, auf wessen Namen die Vermögenswerte laufen?“

„Seit wann kümmerst du dich um meine Angelegenheiten?“ fragte Véranna leise.

Amarcus wurde ungeduldig. „Ich respektiere deinen Raum. Aber das ist etwas anderes – wir werden eine Familie.“

„Und deshalb soll ich alles auf deine Mutter übertragen?“

„Übertreib nicht!“ Amarcus erhob die Stimme. „Unterschreib einfach. Es ist für unser gemeinsames Wohl!“

Véranna erinnerte sich an die Warnung ihres Vaters über Manipulatoren: „Sie reden immer vom Gemeinwohl, wenn sie etwas für sich wollen.“

„Ich muss gehen“, sagte Véranna und nahm ihre Tasche.

„Warte, warte!“ Amarcus griff nach ihrer Hand. „Wohin gehst du?“

„Ich habe genug gehört“, antwortete sie. „Ich muss nachdenken.“

„Es gibt nichts zu überdenken“, sagte Iren streng. „Die Papiere sind fertig. Du musst nur unterschreiben.“

Véranna spürte eine kühle Klarheit in sich aufsteigen.

Sie sah sie an – ihr Vertrauen war zerstört.

„Wir sehen uns morgen“, sagte sie und ging.

Keine Hochzeit

Zuhause holte Véranna ihr lang ersehntes Brautkleid hervor.

Dann öffnete sie das samtige Kästchen mit dem Saphirring.

„Was soll ich jetzt tun?“ – dachte sie, als sie am Bettrand saß.

Am Morgen wusste sie die Antwort: die Hochzeit absagen.

Ohne Amarcus anzurufen, ging sie zum Standesamt und stornierte die Zeremonie.

Der Beamte sah sie mitleidig an, stellte aber keine Fragen.

Véranna rief alle Gäste an, stornierte das Restaurant, den Schmuck, die Torte.

Ihr Telefon klingelte ununterbrochen – Amarcus.

Sie ging nicht ran.

Nachrichten strömten herein: „Was ist los?“ „Bist du verrückt geworden?“ „Ruf mich an!“

Sie antwortete knapp: „Keine Hochzeit. Danke, dass du dein wahres Gesicht gezeigt hast – vorher, nicht nachher.“

Amarcus reagierte prompt: „Du hast mein Leben ruiniert!“ „Dir ist dein Geschäft wichtiger als die Familie!“ „Egoistin!“

Véranna blockierte seine Nummer.

Eine Stunde später begannen Anrufe von unbekannten Nummern – Iren Clark.

„Verotschka, was ist passiert?“ Iren klang nur mühsam beherrscht. „Amarcus sagte, du hast die Hochzeit abgesagt. Ein Missverständnis?“

„Nein, kein Missverständnis“, antwortete Véranna fest. „Ich heirate keinen Mann, der mir ein Ultimatum über mein Eigentum stellt.“

„Du bildest dir das alles ein!“ fauchte Iren. „Amarcus wollte die Familie schützen, und du gibst ihm nicht mal die Chance, es zu erklären! Dumme Göre!“

Véranna legte auf.

Die Anrufe hörten auf, und sie spürte Erleichterung.

Ihre Freunde unterstützten sie.

Als die Schockstarre nachließ, erzählte sie ihnen alles.

„Du hast das Richtige getan“, sagte Laisa. „Stell dir vor, wie es später geworden wäre.“

Vérannas Mutter, Alla Sergejewna, stand fest an ihrer Seite.

„Dein Vater wäre stolz auf dich“, sagte sie und umarmte Véranna. „Er hat immer geglaubt, dass du die richtige Entscheidung triffst, auch wenn sie schwer ist.“

Leben ohne Amarcus

Zwei Wochen nach der geplatzten Hochzeit traf sich Véranna mit einem langjährigen Geschäftspartner, Michail Andrejewitsch.

Bei einer Tasse Kaffee sprachen sie über Personalfragen.

„Ein junger Mann war bei uns“, sagte Michail. „Amanckus – Nachname fällt mir nicht ein. Sagte, er habe Erfahrung in Beratung und Kundenkontakt.“

Véranna erstarrte. „Hat er mich erwähnt?“

„Zuerst nicht“, zögerte Michail. „Aber am Ende sagte er plötzlich, seine Verlobte sei eine ‚vielversprechende Unternehmerin‘, und wenn sie ihm das Geschäft überlasse, wäre das sehr profitabel für uns.“

Véranna lächelte düster. „Kommt mir bekannt vor.“

„Ja“, schmunzelte Michail. „Scheint ein wiederkehrender Trick bei ihm zu sein.“

Véranna erwähnte nicht, dass Amarcus ihr Ex-Verlobter war.

Sie bedankte sich einfach.

Jetzt war alles klar.

Amarcus hatte sie nie geliebt – er wollte nur das Geschäft.

Mit neuer Energie stürzte sie sich in die Arbeit: modernisierte Maschinen, erweiterte das Team, schloss neue Verträge ab.

An Wochenenden genoss sie die Zeit auf dem Landhaus, trank Kakao, las Bücher, dachte über die Lektionen ihres Vaters nach.

Ein halbes Jahr später erhielt sie eine Nachricht von Amarcus: „Vérann, vergib mir. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Lass uns reden.“

Véranna sah die Nachricht an, erinnerte sich an seine misslungene Intrige.

Sie wählte seine Nummer und lächelte.

„Wenn mir je wieder jemand sagt: ‚Entweder du überträgst dein Geschäft und dein Landhaus, oder es gibt keine Hochzeit‘ – dann werde ich einfach lächeln“, dachte sie.

„Tatsächlich – es wird keine Hochzeit geben. Danke für deine Ehrlichkeit.“

Artikel notieren