„Liebling, vielleicht fahren wir dieses Wochenende aufs Land?“ – schlug ich vor, in der Hoffnung auf eine positive Antwort.
„Ich kann nicht, mein Schatz“, antwortete er, ohne den Blick vom Laptop zu heben.
„Du weißt doch, wie viel Arbeit ich habe.“
Also fuhr ich allein los.
Ich setzte mich ans Fenster im Zug.
Ich mag es nicht, allein aufs Land zu fahren – dort gibt es immer viel zu tun, was ich allein kaum schaffe.
Aber was soll ich machen?
Der Zug fuhr los, ich starrte aus dem Fenster und versuchte, nicht daran zu denken, wie ich allein zurechtkommen würde.
Und plötzlich… Er betritt meinen Waggon.
Mein Mann.
Georgi.
Neben ihm – ein junges Mädchen.
Mein Herz begann so heftig zu schlagen, als wolle es aus der Brust springen.
Die Lieblingsjacke, die ich mit so viel Sorgfalt ausgesucht hatte, wurde plötzlich unerträglich eng, als würde sie mich in einen Schraubstock pressen.
Er bemerkte mich nicht.
Oder tat nur so.
Sie… Das Mädchen… Hielt ihn an der Hand, plapperte irgendetwas, lachte.
Ihre Stimme klang so unbeschwert, als gäbe es in ihrem Leben weder Sorgen noch Ängste.
Wohin fahren sie?
Warum ist er nicht bei der Arbeit?
Fragen surrten in meinem Kopf wie ein Schwarm Wespen und ließen mich nicht klar denken.
Aussteigen?
Mich verstecken?
Oder direkt hingehen und fragen: „Was soll das?“
Ich erstarrte, als wäre ich zu einer Statue geworden.
Es schien, als würde der ganze Waggon mich ansehen, meine Verwirrung, meinen Schmerz sehen.
Aber niemand schaute.
Alle waren mit sich selbst beschäftigt.
Sie setzten sich einige Meter vor mich, mit dem Rücken zu mir.
Ich sah, wie sie ihren Kopf auf seine Schulter legte, wie er sie mit dem Lächeln anlächelte, das früher nur mir gehörte.
Die Zärtlichkeit in seinen Augen, die Sanftheit seiner Bewegungen – all das galt ihr.
Nicht mir.
Wie konnte er nur?
Warum hatte er keine Angst, genau mit diesem Zug zu fahren?
Ach ja… Ich hatte ihm ja nicht gesagt, dass ich aufs Land fahren würde.
Normalerweise bleibe ich in der Stadt, wenn er arbeitet.
Ich stand auf und ging in einen anderen Waggon.
Dort war es stickig, es roch nach Staub und etwas Muffigem.
Ich starrte aus dem Fenster und versuchte zu begreifen, wie es nun weitergehen sollte.
Felder, Wälder, Häuser – alles zog wie im Nebel vorbei.
Das Landhaus kann warten, dachte ich.
Jetzt musste ich herausfinden, wohin sie unterwegs waren.
Sie stiegen an der Station „Sosnowa“ aus.
Sie nahm seinen Arm, und sie gingen einen Pfad entlang, der in den Wald führte.
Ich stieg ebenfalls aus und hielt Abstand.
Mein Herz raste, Wut und Kränkung mischten sich mit kalter, klebriger Angst.
Der Pfad führte zu einem kleinen Haus mit blauen Fensterläden.
Georgi holte einen Schlüssel hervor, öffnete die Tür und sie verschwanden im Inneren.
Ich stand hinter einem Baum und wusste nicht, was ich tun sollte.
Rufen?
Weggehen?
Schließlich drehte ich um.
Ich musste jetzt allein sein.
Alles überdenken.
Sonst hätte ich vielleicht etwas getan, was ich später bereuen würde.
Meine Schritte waren schwer, als würde ich eine Last auf dem Rücken tragen.
Auf dem Bahnsteig war kaum jemand.
Ich setzte mich auf eine Bank, das kalte Metall durchdrang meinen Körper.
Ich schloss die Augen, versuchte mich von der Realität abzuschotten.
Einatmen – ausatmen.
Ich musste mich beruhigen.
Ich musste mich sammeln.
Ich wollte nicht nach Hause fahren.
Dort erinnerte alles an ihn, an unser Leben.
Ein Leben, das sich als Lüge entpuppte.
Ich brauchte Zeit.
Zeit, um zu verstehen, was ich als Nächstes tun sollte.
Und dann… Dann würde ich eine Entscheidung treffen.
Aber nicht heute.
Heute musste ich einfach nur überleben.
„Ich fahre zu einer Freundin“, flüsterte ich mir selbst zu.
Dina wohnte nicht weit entfernt, an derselben Bahnstrecke.
Ich rief sie an, mit zitternder Stimme sagte ich, dass ich in einer Stunde bei ihr sei.
Dina verstand sofort, sie fragte nichts.
„Komm, ich warte“, sagte sie einfach.
Im Zug starrte ich wieder aus dem Fenster.
Bäume, Häuser, Menschen – sie alle lebten ihr Leben.
Aber mein Leben stand still.
Es war in tausend Scherben zerbrochen.
Ich war noch nicht bereit, sie aufzusammeln.
Vielleicht würde ich das nie sein.
Bei Dina zu Hause roch es nach Zimt und frischem Gebäck.
Sie umarmte mich, ohne ein Wort zu sagen.
Und das war genau das, was ich brauchte.
Einfach Wärme.
Einfach Stille.
Tee und Gebäck waren meine Rettung.
Dina saß neben mir, streichelte meine Hand.
Und ich blickte aus dem Fenster, und zum ersten Mal an diesem Tag schien es mir, als würde die Sonne vielleicht doch noch herauskommen.
Irgendwann.
„Wo warst du?“ – fuhr mich Georgi an, kaum dass ich über die Schwelle trat.
„Weißt du überhaupt, dass ich schon alle Leichenhallen durchtelefoniert habe?“
Ich kam erst am Sonntagabend zurück.
Dina – mein Schutzengel, auch ohne Psychologie-Diplom.
Sie „pumpt“ mich regelrecht voll mit Ratschlägen, Unterstützung und dem Glauben, dass ich selbst eine Scheidung überstehen kann.
Sie war es, die mich überredete, nicht länger zu schweigen.
„An seiner Reaktion wirst du gleich erkennen, was Sache ist“, sagte sie.
„Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie es dir scheint.“
Aber ich stimmte ihr nicht zu.
Selbst wenn es nur eine Affäre wäre – ändert das etwas?
Verzeihen und einfach weitermachen, als wäre nichts passiert?
Nein, das ist nichts für mich.
„Ich war bei Dina“, antwortete ich ruhig.
„Und warum war dein Handy aus?“ – fragte er weiter.
„Ich habe es ausgeschaltet.“
„Was ist passiert?“ – seine Stimme wurde schärfer.
„Was passiert ist?“ – wiederholte ich wie ein Echo.
„Ich habe dich mit einer anderen Frau im Zug gesehen.“
„Ihr seid an der Station ‚Sosnowa‘ ausgestiegen und zu dem kleinen blauen Häuschen im Wald gegangen.“
Georgi setzte sich, als hätte man ihm die Beine weggezogen.
„Du hast mir nachgespürt?“ – fragte er, und in seiner Stimme klang etwas zwischen Verwunderung und Ärger.
„Ja.“
Es entstand eine lange Pause.
Er schwieg, und ich wartete, spürte, wie sich in mir alles zusammenzog.
„Na gut“, sagte er schließlich und blickte auf die Uhr.
„Wir fahren!“
„Wohin?“ – fragte ich überrascht.
„Dorthin, zum blauen Häuschen.“
„Rita hat sehr leckere Himbeermarmelade, sie wollte mir welche mitgeben, aber ich habe abgelehnt.“
„Ich dachte, du wüsstest von nichts.“
„Lass uns hinfahren und die Marmelade holen! Wir sind vor Einbruch der Dunkelheit zurück.“
Zuerst weigerte ich mich kategorisch.
Dann fing Georgi an zu erklären, und ich glaubte ihm nicht.
Aber um endgültig Klarheit zu bekommen, fuhren wir doch zur Station „Sosnowa“.
Es stellte sich heraus, dass Rita seine Schwester ist.
Aus der zweiten Ehe seines Vaters.
Georgis Mutter war immer gegen den Kontakt zu seinem Vater, also tat er es heimlich.
Aber offenbar vertraute er auch mir nicht, wenn er mir nichts davon erzählte.
Ich wusste, dass er manchmal mit seinem Vater telefonierte, aber von der Schwester hatte ich keine Ahnung.
Ritas Mann war krank, und Georgi half ihnen.
Manchmal fuhr er zu ihnen nach „Sosnowa“, manchmal trafen sie sich in der Stadt und fuhren gemeinsam dorthin…
„Sosnowa“… Dieser Name klang jetzt wie ein Messer im Ohr.
Bedeutet das, dass sich hinter jedem „Ich bin bei der Arbeit“ Treffen mit der Schwester und ihrem kranken Mann verbargen?
Hinter jedem Seufzer über „Geldmangel“ – Hilfe für Menschen, von denen er mir nie erzählt hatte?
Rita brauchte seine Hilfe, weil ihr Mann an den Rollstuhl gefesselt war.
Und ich?
Brauche ich nicht auch seine Unterstützung?
Die Eifersucht war weg, aber die Kränkung blieb.
Tief, klebrig, alles verschlingend.
Er baute unser Leben auf einer Lüge auf.
Warum dachte er, ich würde ihn nicht verstehen, wenn er mir die Wahrheit sagte?
Die Kränkung schnürte mir die Kehle zu.
Kränkung auf seine Mutter, die ihm den Kontakt zum Vater verbot.
Kränkung auf den Vater, der wohl weit von einem Ideal entfernt war, wenn die Mutter so reagierte.
Aber am meisten war ich wütend auf Georgi.
Er – mein Mann, meine Stütze.
Und diese Stütze war brüchig, unzuverlässig.
Jetzt brauche ich Zeit.
Zeit, um das alles zu verarbeiten.
Sich wegen einer verschwiegene Schwester scheiden zu lassen – das ist dumm.
Aber so wie früher, mit vollem Vertrauen, kann ich nicht mehr leben…