„Na, Lenotschka, hast du dich endlich mal mit etwas Sinnvollem beschäftigt und nicht nur in Büros rumgetrieben?“ – Die Stimme von Tamara Igorewna, ihrer Schwiegermutter, traf wie ein Schlag gleich beim ersten Gruß am Telefon.
Lena erstarrte einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln.
Sogar durchs Telefon spürte sie den Druck.
„Womit genau, Tamara Igorewna?“, fragte sie vorsichtig.
„Womit wohl! Es wird Zeit, Pavlik endlich einen Erben zu schenken!“, fuhr die Frau sie scharf an.
„Vier Jahre sind vergangen, und du bist so nutzlos wie eine Ziege ohne Milch!
Verstehst du überhaupt, dass mein Sohn seine Zeit mit einer Frau verschwendet, die sich nur mit wichtigen Papieren beschäftigt?
Deine Mutter, die Putzfrau, war sogar nützlicher!“
Lenas Finger wurden weiß, so fest hielt sie das Telefon.
Jedes Gespräch mit ihrer Schwiegermutter war wie ein Schlag in den Magen.
Ihre Worte waren wie Nadeln, die genau die wunden Punkte trafen.
„Wir… wir arbeiten daran“, presste Lena hervor, eine längst sinnlose Phrase, die sie auswendig gelernt hatte.
„Arbeiten sie!“, fauchte Tamara Igorewna giftig.
„Reden ist leicht!
Du solltest dich lieber durchchecken lassen – vielleicht stimmt bei dir was nicht!
Sonst bleibst du am Ende noch kinderlos, und mein Pavlik… der ist ein stattlicher Mann, Abteilungsleiter!
Für so einen gibt es immer eine Schlange – jünger und gefügiger!“
Lena legte schweigend auf.
Tränen brannten in ihren Augen.
Neben ihr, auf dem Sofa, saß Pawel – eben dieser „stattliche Mann“, ihr Ehemann – und scrollte durch seinen Feed, ohne den Blick vom Bildschirm zu heben.
Er hatte alles gehört.
Doch wieder tat er so, als ginge es ihn nichts an.
Wie immer.
„Sie… schon wieder…“, flüsterte Lena und sah ihn mit Hoffnung an, die schon lange zu verblassen begann.
Pawel hob widerwillig den Blick vom Smartphone.
„Lena, du reagierst schon wieder zu empfindlich.
Mama macht sich halt Sorgen um Enkelkinder.
So ist eben ihr Charakter, das weißt du doch.
Sei geduldig, was soll ich ihr denn sagen?“
„Geduldig sein.“
Dieses Wort schnitt wie ein Messer.
Wie soll man geduldig sein, wenn man täglich erniedrigt wird?
Wenn der innigste Wunsch – Mutter zu werden – zu einer Anklage gemacht wird, zu einem Makel, zu einer Schuld?
Lena hatte sich mit harter Arbeit, mit Blut und Tränen aus der Armut gekämpft.
Ein Hochschulabschluss, eine Karriere, Respekt im Team – all das waren ihre Siege.
Und Pawel…
Er war der Sohn einer wohlhabenden Mutter, ein Polizeihauptkommissar, ein Mann, dem alles leicht zufiel.
Auch sie.
„Was ist denn schon wieder?“, fuhr er fort, als Lena nach dem Gespräch mit seiner Mutter wieder einmal weinte.
„Mama ist halt… besonders.
Man muss sich eben daran gewöhnen.“
Für Tamara Igorewna gab es nur einen Anklagepunkt: Sie hatten keine Kinder.
„Du bist ja keine Jugendliche mehr, Lenotschka“, zischte sie bei jeder Gelegenheit.
„Es wird Zeit für einen Erben.
Oder ist deine Gesundheit nicht in Ordnung?
Pass auf – sonst schnappt dir noch jemand den guten Mann weg.“
Lena hatte alle möglichen Untersuchungen durchlaufen.
Die Diagnose war eindeutig: Alles in Ordnung.
Sie war bereit, Mutter zu werden.
Aber Pawel zu einem Arztbesuch zu überreden war fast unmöglich.
„Was soll das heißen, ich bin kein richtiger Mann?
Mit mir ist alles in Ordnung!“, winkte er ab – mal wegen Zeitmangel, mal aus Stolz.
Er ließ sich dann doch untersuchen.
Nur sah Lena die Ergebnisse nie.
„Sie haben sie verloren, stell dir vor!“, sagte er und zuckte mit den Schultern.
„Muss wohl nochmal gemacht werden.
Irgendwas ist durcheinander geraten.“
Dann kamen neue Ausreden, neue Termine, neue Versprechen.
Und Lena schluckte stumm ihre Enttäuschung herunter.
Ihre Mutter, Antonina Sergejewna, glaubte ihrem Schwiegersohn schon lange nicht mehr.
Zu vieles an ihm war verdächtig.
Zu oft wich er ihrem Blick aus.
Antonina hatte eine Freundin – Galina, Reinigungskraft in der Klinik, in der Pawel war.
Nach einem besonders schweren Gespräch mit Lena wagte Galina es.
Über eine befreundete Krankenschwester erfuhr sie die Wahrheit.
Eine gefährliche Wahrheit.
„Tonja, sei vorsichtig“, flüsterte sie und blickte sich um.
„Was ich dir jetzt sage…
Das könnte Probleme geben.
Wenn das rauskommt, sind wir alle dran.
Ich erzähle es dir nur, weil du mir früher mal geholfen hast.
Hör genau zu…
Seine Werte sind im Keller. Fast null.
Die Chancen sind praktisch nicht vorhanden.“
Antonia Sergejewna fühlte sich, als hätte sie einen Schlag bekommen.
Vor ihren Augen flackerte das Gesicht der Tochter auf, ihre leisen Tränen, die ständigen Vorwürfe der Schwiegermutter.
Sie wollte Lena beschützen, hatte aber Angst, die Familie zu zerstören.
Sie beschloss zu warten.
Vielleicht würde Pawel von selbst zur Vernunft kommen?
Heute war Jubiläum — dreißig Jahre.
Lena hatte ein neues Abendkleid in Mitternachtsblau angezogen.
Sie wollte, dass dieser Tag ein heller Fleck in der grauen Alltäglichkeit wird.
— Mama, wie sehe ich aus? — fragte sie hoffnungsvoll und drehte sich vor dem Spiegel.
— Wunderschön, mein Kind! — lächelte Antonia Sergejewna, obwohl in ihren Augen Besorgnis aufblitzte.
— Hör auf niemanden, heute ist dein Tag.
— Pawel sagt, der Ausschnitt ist zu tief…
— Er soll froh sein, dass so eine Schönheit an seiner Seite ist.
Das Restaurant war mit Liebe dekoriert.
Lena hatte jedes Detail ausgesucht.
Blumen, Menü, Musik — alles sollte perfekt sein.
Freunde, Kollegen, Pawels Kameraden kamen.
Alle freuten sich über die Gastgeberin, es war fröhlich, warm.
Sogar ihre beste Freundin Olga umarmte sie fest:
— Heute bist du die Königin! Das Restaurant und du — alles perfekt!
Pawel bemühte sich, der Gastgeber zu sein.
Er stellte seinen Kollegen die Gäste vor.
Auch Lenas Kollegen überreichten Blumen und warme Worte.
Antonia Sergejewna, die am Tisch saß, entspannte sich ein wenig.
Die Tochter lächelte.
Zum ersten Mal seit langer Zeit schien alles gut zu werden.
Und Tamara Igorewna war überraschenderweise nicht gekommen.
Am Telefon hatte sie gesagt, dass sie „nicht ganz gesund“ sei.
Lena fühlte sowohl Erleichterung als auch eine seltsame Traurigkeit.
Sie wünschte sich, dass sich die Beziehung zur Familie des Mannes doch noch bessern würde.
Wenigstens ihm zuliebe.
Als die ersten Trinksprüche gesprochen waren, als Lena endlich ein wenig glücklich war — als gehöre das Fest wirklich nur ihr — da öffnete sich plötzlich die Restauranttür.
Und auf der Schwelle stand Tamara Igorewna, wie eine Gewitterwolke.
Ganz in Schwarz gekleidet, mit fest zusammengepressten Lippen, sah sie eher aus wie eine Tragödienfigur als wie ein Gast.
Ihr Blick schleuderte Blitze durch den Saal.
— Mama? Du hast doch gesagt, du kommst nicht… — wunderte sich Pawel.
— Ich habe es mir anders überlegt! — schnitt sie ihn ab und trat ein.
Ohne die Gastgeberin zu beglückwünschen, ohne ein Nicken, verlangte sie scharf:
— Macht die Musik leiser!
Ich habe ein Wort an die Gastgeberin zu richten!
Der Kellner erstarrte mit dem Tablett.
Die Gäste drehten sich um, verwirrt.
Lena wurde eiskalt.
Antonia Sergejewna spannte sich an, ahnte Unheil.
— Unsere liebe Le-eenotschka! — begann Tamara Igorewna und zog den Namen in die Länge, als wollte sie ihn zerbrechen.
— Welch ein Glück, dass du meinen Pawlik geheiratet hast!
Einen echten Mann!
Eine Stütze, ein Beschützer!
Nicht jede hat so ein Glück…
Sie machte eine Pause, schaute sich im Saal um und verweilte besonders lange bei den Kollegen ihres Sohnes — als wollte sie sagen: „Seht, was für einen Sohn ich habe!“
Dann fügte sie mit zuckersüßer Stimme hinzu:
— Besonders, wenn man bedenkt, dass du die Tochter einer einfachen Putzfrau bist.
Und doch hast du es geschafft, in unsere anständige Familie zu kommen.
Na ja, auch für uns war es nicht einfach…
Aber wir haben dich aufgenommen.
Erziehung ist schließlich wichtiger als soziale Herkunft!
Der Saal verstummte.
Lenas Freundinnen verbargen ihre Empörung nicht mehr.
Pawels Kollegen traten von einem Fuß auf den anderen.
Manche wandten beschämt den Blick ab.
Und Tamara Igorewna legte erst richtig los.
— Natürlich ist es sehr schade, dass es immer noch keine Enkelkinder gibt…
Vier Jahre — das ist keine kurze Zeit.
Offenbar ist es nicht jedem bestimmt, Mutter zu werden.
Vor allem, wenn eine Frau Karriere wichtiger nimmt als Familie und ihre Gesundheit nicht schont…
Lena wurde blass.
Ihre Lippen zitterten.
Tränen standen in ihren Augen.
Sie sah ihren Mann an.
Doch der lächelte nur schief und starrte an die Wand.
Er hatte sie wieder verraten.
Wieder schwieg er.
Da stand Antonia Sergejewna auf.
Eine kleine, ruhige Frau, die ihr ganzes Leben versucht hatte, taktvoll zu sein.
Heute war nicht der Tag dafür.
— Einen Moment, Tamara Igorewna!
Gestatten Sie mir, auch ein paar Worte zu sagen.
Ihre Stimme war fest, voller Würde.
— Ja, meine Tochter ist die Tochter einer Putzfrau.
Und ich bin stolz darauf!
Ich bin stolz, dass sie es selbst an die Uni geschafft hat!
Dass sie sie mit Auszeichnung abgeschlossen hat!
Dass sie alles alleine erreicht hat, ohne Beziehungen und Geld!
Sie richtete ihren Blick auf den Sohn:
— Und euer „goldener“ Pawlik?
— Erinnern Sie sich, wie er in der Schule war?
Für jede Vier wurde bezahlt, manchmal sogar die Lehrer mit Cognac bewirtet.
Das Jurastudium — hat er gerade so geschafft, gestützt von euren Geschenken.
Hat er sein Diplom bekommen?
Durch Beziehungen.
Und arbeitet er bei der Polizei?
Dank wem?
Wer hat euch damals unterstützt?
Euer hochrangiger Bekannter?
Und wo wäre euer „Held“ jetzt, wenn es nicht Mamas Verbindungen gäbe?
Tamara Igorewna lief rot an.
— Wie können Sie es wagen?!
— Ich wage es, — antwortete Antonia Sergejewna ruhig.
— Und jetzt hören Sie über die Kinder.
Sie werfen es Lena vor?
Fragen Sie besser Ihren Sohn.
Warum gibt es keine?
Soll er die Wahrheit vor allen sagen?
Pawel saß mit gesenktem Kopf, das Gesicht rot, stammelte etwas Unverständliches.
— Dann sage ich es! — ihre Stimme wurde lauter.
— Er ist unfruchtbar!
Hören Sie?
Er kann keine Kinder bekommen!
Nicht meine Tochter ist schuld daran, sondern euer geliebter Sohn!
Da habt ihr euren „echten Mann“, „Stütze“, „Beschützer“!
In Wirklichkeit ein Feigling, der jahrelang gelogen hat und alles auf seine Frau geschoben hat.
Also können Sie Ihre Vorwürfe und Ihre „anständige Familie“ mitnehmen und verschwinden!
Der Saal verstummte.
Nur Handykameras klickten — jemand nahm schon ein Video auf.
Ein paar Stunden später tauchte das Video im Netz auf mit dem Titel:
„Drachen-Schwiegermutter oder Gerechtigkeit live? Die Schwiegermutter bekam, was sie verdient!“
Pawel kehrte nicht nach Hause zurück.
Er lief zu seiner Mutter, wo er Tränen vergoss und Rachepläne schmiedete.
Am Morgen traf Tamara Igorewna beim Einkaufen neugierige Nachbarinnen, die das Video bereits gesehen hatten.
— Hallo, Tamarotschka! — sagte eine mit einem falschen Lächeln.
— Wir wussten gar nicht, dass euer Pawluschka so „echt“ studiert hat.
Für Geld, also?
— Und vor allem, — fügte die zweite hinzu, — alles auf Lena geschoben, und jetzt weiß die ganze Welt, dass euer „echter Mann“ doch nicht so echt ist.
Gut, dass es rausgekommen ist!
Die Schwiegermutter, rot vor Wut und Scham, drehte sich um und eilte fast zurück ins Treppenhaus, begleitet von Spott und Kichern.
Das Video bekam schnell immer mehr Aufrufe.
Für Tamara Igorewna und ihren Sohn war das erst der Anfang vom Ende ihres Ansehens.
Und Lena…
Lena weinte.
Aber nicht mehr vor Demütigung — sondern vor Schmerz und dem Bewusstsein des Verrats.
Doch durch die Tränen spürte sie eine seltsame Erleichterung.
Das Geheimnis war ans Licht gekommen.
Der Schmerz blieb, aber sie war nicht mehr allein.
Ihre Mutter war an ihrer Seite.
Und das änderte vieles.