Drei Monate lang bestand Mias Mutter darauf, dass sie während der Renovierungsarbeiten fernbleibt.
Aber etwas fühlte sich nicht richtig an.
Als Mia unangekündigt ankommt, findet sie die Tür unverschlossen, das Haus unheimlich sauber und ein seltsamer Geruch liegt in der Luft.
Was Mia gleich entdecken würde, würde ihre Welt erschüttern.
Als die Morgendämmerung über der Stadt anbrach, fuhr Mia durch die stillen Straßen, ihre Hände umklammerten das Lenkrad immer fester mit jedem Kilometer.
Ein Knoten der Unruhe lag schwer in ihrem Magen und wollte nicht loslassen.
Die wiederholten Ausreden ihrer Mutter, warum sie nicht zu Besuch kommen sollte, zusammen mit den hastigen Telefonaten, hatten schließlich ihre Wirkung verloren.
„Du kannst nicht zu mir kommen, Liebling“, hatte ihre Mutter gesagt, ihre Stimme angespannt. „Das Haus ist ein Chaos mit all den Renovierungsarbeiten.“
Aber drei Monate? Das war nicht normal. Mia und ihre Mutter waren sich immer nah gewesen.
Als Mia an ihrem Elternhaus ankam, wuchs ihr Unbehagen.
Der einst makellose Garten war von Unkraut überwuchert, die Blumen ungepflegt, und die Rosenbüsche, einst der Stolz ihrer Mutter, waren verwelkt.
„Das stimmt nicht“, murmelte Mia, als sie aus dem Auto stieg.
Sie eilte zur Haustür, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust.
Die Tür war unverschlossen.
Mia zögerte, ein kalter Schauer der Angst durchlief sie.
Ihre Mutter war immer pedantisch, was das Abschließen der Tür anging.
Etwas war definitiv nicht in Ordnung.
Sie drückte die Tür auf und trat ein.
Das Haus war makellos. Keine Anzeichen von Renovierungsarbeiten.
Keine Werkzeuge, keine Farbe, nichts. Ein steriler, scharfer Geruch hing in der Luft.
Die unheimliche Sauberkeit ließ alle Alarmglocken in ihrem Kopf schrillen. „Mama?“, rief sie, ihre Stimme zitterte.
Keine Antwort.
Mias Augen wanderten durch den Eingangsbereich.
Ein gerahmtes Foto von ihr und ihrer Mutter fiel ihr auf.
Es war von einem Strandurlaub, als Mia noch ein Kind war, grinsend in die Kamera, die Arme ihrer Mutter um sie geschlungen.
Doch etwas stimmte nicht – das Glas war mit Fingerabdrücken verschmiert, fast obsessiv über ihr Gesicht gestrichen.
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. „Mama?“, rief sie lauter, ihre Stimme verriet ihre steigende Panik.
Dann hörte sie ein leises Knarren von oben.
Ihr Herz raste, als sie die Treppe im Laufschritt hochstieg.
Das Haus war bedrückend still, als sie den Flur erreichte, ihr Atem beschleunigte sich mit jedem Schritt in Richtung des Schlafzimmers ihrer Mutter.
Sie stieß die Tür auf, und der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihr die Knie weich werden.
Ihre Mutter, gebrechlich und abgemagert, lag im Bett, ihr Gesicht blass, und das einst schöne Haar war durch ein Tuch ersetzt, das um ihren Kopf gebunden war.
„Mia?“, krächzte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Du solltest nicht hier sein.“
Mia stand wie erstarrt da, die Welt schien sich unter ihr zu drehen.
„Mama… was ist passiert?“
Die müden Augen ihrer Mutter trafen ihre, erfüllt von Schuld und Traurigkeit.
„Ich wollte nicht, dass du es so erfährst.“
Mia stürzte zu ihr, fiel auf die Knie.
„Was erfahren? Mama, bitte, sag mir, was los ist.“
Die Hand ihrer Mutter, schwach und zitternd, griff nach ihrer.
„Ich habe Krebs, Mia“, flüsterte sie.
Mias Herz zerbrach, als sich der Raum um sie drehte.
„Krebs? Warum hast du mir nichts gesagt? Warum hast du mich nicht helfen lassen?“
Tränen stiegen in die Augen ihrer Mutter. „Ich wollte dich nicht belasten, Liebling. Du hast so hart gearbeitet.
Ich dachte, ich könnte es alleine schaffen.“
Wut brodelte in Mia auf. „Du dachtest, du könntest es alleine schaffen?
Mama, ich bin deine Tochter. Ich hätte hier sein sollen.
Ich wollte hier sein.“
Die Stimme ihrer Mutter brach, als Tränen über ihre Wangen liefen.
„Es tut mir so leid. Ich dachte, ich würde dich beschützen.“
Mia kletterte aufs Bett und umarmte ihre Mutter sanft.
„Du musst mich nicht vor diesem Schmerz beschützen. Wir stehen das gemeinsam durch.“
Sie hielten sich gegenseitig fest, weinten stundenlang, während das Gewicht des Geheimnisses ihrer Mutter endlich von ihren Schultern genommen wurde.
In den folgenden Tagen zog Mia zurück ins Haus.
Sie nahm sich eine Auszeit von der Arbeit, fest entschlossen, jeden Moment mit ihrer Mutter zu verbringen.
Sie teilten Geschichten, lachten und weinten, und schätzten jede Sekunde.
Als das Ende kam, war Mia da, hielt die Hand ihrer Mutter.
„Es tut mir leid, Mia“, flüsterte ihre Mutter schwach.
„Ich habe so viel versprochen… und nichts davon gehalten.“
„Du hast nichts gebrochen, Mama“, antwortete Mia sanft, Tränen liefen über ihr Gesicht. „Du hast mir alles gegeben, was ich jemals brauchte.“
Ihre Mutter lächelte schwach, ihre Augen schlossen sich, als sie flüsterte: „Ich liebe dich so sehr, Mia.“
„Ich liebe dich auch, Mama“, flüsterte Mia, hielt sie fest, während der Atem ihrer Mutter langsamer wurde und schließlich erstarb.
Mia saß noch lange dort, klammerte sich an die Wärme ihrer letzten gemeinsamen Momente, in dem Wissen, dass Liebe, auch in den dunkelsten Momenten, das war, was sie miteinander verbunden hatte.
Sich von ihrer Mutter zu verabschieden, war das Schwerste, was Mia jemals getan hatte, aber eines wusste sie mit Sicherheit: Liebe bedeutet, da zu sein, auch wenn es weh tut.
Es bedeutet, anwesend zu sein, wenn die Welt zusammenbricht, und festzuhalten, wenn es scheint, als wäre nichts mehr übrig.