Solange ich denken kann, hatte Celeste immer eine Art, den Raum für sich einzunehmen.
Ob bei Talentshows in der Schule, Geburtstagsfeiern oder einfach beim Brunch mit Freunden – irgendwie stand sie immer im Mittelpunkt.
Und genauso lange ließ ich es zu.
Wir haben uns an der Uni kennengelernt.
Ich studierte Medienproduktion, Celeste Kommunikationswissenschaften.
Sie hatte ein ansteckendes Lachen und einen Kleiderschrank, als käme sie direkt aus einer Modereklame.
Ich war ruhiger, beobachtender.
Ich mochte Geschichten – sie zu erzählen, zu filmen, aus Momenten, die andere übersahen, Bedeutung herauszuholen.
Sie mochte es, selbst die Geschichte zu sein.
Wir wurden schnell Freundinnen.
Sie zog mich in ihre Welt, und ich ließ sie führen – auf Partys, in Gesprächen, sogar bei kreativen Projekten.
Es störte mich nicht.
Zunächst.
Ich dachte: „So ist sie eben. Sie strahlt.“
Aber mit der Zeit bemerkte ich Risse im Bild.
Als ich im Kurs eine Idee für einen Kurzfilm vorstellte, die später für eine Ausstellung ausgewählt wurde, bot Celeste an, mir zu helfen, „die Vision zu formen“.
Nach ein paar Wochen war es ihr Name, den die Professoren ständig erwähnten.
„Celestes Film ist brillant!“
„Celeste hat eine ganz besondere Stimme!“
Dabei war ich diejenige, die die Nächte durchschneidete, um zu schneiden, das Drehbuch umzuschreiben und jede Szene zu inszenieren.
Sie kam zu spät ans Set und ging früh – aber sie wusste, wie man über das Projekt sprach.
Wie man es verkauft.
Das war ihre Superkraft.
Ich redete mir ein, dass es nichts ausmachte.
Wir waren doch Freundinnen.
Wenn sie gewinnt, gewinne ich doch auch … oder?
Dann kam der Eine Moment.
In unserem letzten Semester reichte ich einen dokumentarischen Kurzfilm ein namens Still Blooming – ein sehr persönliches Werk über den Kampf meiner Mutter mit Depressionen und die stille Stärke von Frauen, die ihre Familien durch den Schmerz tragen.
Er wurde für einen nationalen Studentenfilmwettbewerb ausgewählt.
Eine große Sache.
Ich war überwältigt.
Endlich wurde ich gesehen.
Die Vorführung war in Lissabon.
Am Vorabend bot Celeste an, mitzufliegen.
„Zur Unterstützung“, sagte sie.
Sie kam in einem roten Kleid und mit einem Selbstbewusstsein, das sie wie ein Parfum umgab.
Ich trug einen schwarzen Overall und wackelige Hoffnung.
Nach der Vorführung führte ein kleines Gremium Interviews mit ausgewählten Filmemachern.
Ich ging kurz, um Wasser zu holen – und kam zurück, um Celeste beim Gespräch mit den Juroren zu sehen.
Sie stellte mich nicht vor.
Sie zeigte nicht auf mich.
Sie sprach über „unsere“ Vision.
„Unsere“ Entscheidungen.
„Unsere“ Geschichte.
Mir rutschte das Herz in die Hose.
In jener Nacht, als wir uns ein Hotelzimmer teilten, sprach ich sie darauf an.
„Du machst das ständig“, sagte ich. „Du nimmst Raum ein, der dir nicht gehört.“
Sie rollte mit den Augen.
„Kiara, wenn du nicht für dich selbst sprechen kannst, gib nicht mir die Schuld, dass ich die Stille fülle.“
Es fühlte sich an wie eine Ohrfeige – ohne den Ton.
Ich verließ Lissabon früher.
Allein.
Ich kam nach Hause, weinte zwei Tage durch und überlegte, ob ich jemals wieder einen Film machen würde.
Aber dann geschah etwas Merkwürdiges.
Eine der Jurorinnen – Ana Ribeiro, eine bekannte portugiesische Regisseurin – meldete sich bei mir.
Sie sagte: „Deine Stimme kam durch die Leinwand. Ich möchte dich mentorieren.“
Nicht dich und Celeste.
Nur mich.
Unter Anas Anleitung entwickelte ich ein neues Projekt.
Eine Doku-Serie über unterrepräsentierte weibliche Geschichtenerzählerinnen aus verschiedenen Kulturen.
Zum ersten Mal versteckte ich mich nicht im Licht anderer – ich erschuf mein eigenes.
Und es funktionierte.
Die Serie wurde von einer Indie-Plattform aufgenommen.
Sie gewann einen Preis beim European Digital Arts Festival.
Plötzlich war ich nicht mehr nur die stille Kreative im Hintergrund.
Ich führte.
Und die Leute bemerkten es.
Celeste meldete sich wieder.
Sie gratulierte mir öffentlich auf Instagram und fragte mich privat, ob ich Hilfe bei der „Pflege des öffentlichen Images“ bräuchte.
Ich antwortete nicht.
Nicht, weil ich verbittert war – sondern weil ich etwas Wichtiges gelernt hatte:
Eine wahre Freundin dimmt nicht dein Licht, damit ihres heller wirkt.
Eine wahre Freundin hilft dir zu strahlen – und freut sich, wenn du es tust.
Celeste hat mir etwas beigebracht, auch wenn es nicht ihre Absicht war:
Dass sich klein zu machen, um anderen Komfort zu geben, nur eine andere Form des Selbstverrats ist.
Dass Schweigen keine Demut ist, wenn es dich deine Stimme kostet.
Dass die beste Rache manchmal keine Rache ist – sondern Erfolg, Echtheit und innerer Frieden.
Heute gebe ich Workshops für junge Frauen im Film – besonders für jene, die nicht am lautesten sprechen.
Ich erinnere sie:
Du brauchst keine Erlaubnis, um gesehen zu werden.
Du brauchst niemand Lauteren, um deine Geschichte zu erzählen.
Deine Stimme zählt – auch wenn sie zittert.
Celeste ist irgendwo da draußen.
Netzwerkt immer noch, bezaubert, beansprucht Anerkennung, wo sie kann.
Aber ich mache mir keine Gedanken mehr über sie.
Denn während sie damit beschäftigt war, Raum einzunehmen – habe ich meinen aufgebaut.
Und jetzt, wo ich hineingetreten bin?
Werde ich nie wieder zurückweichen.