Der Klopfen an meiner Tür war scharf, fast dringlich.
Es riss mich aus meinen Gedanken, während ich zusammengerollt auf der Couch saß und meinen Morgenkaffee trank.
Ich erwartete niemanden.
Als ich die Tür öffnete, blieb mir der Atem im Hals stecken.
Ein Mann stand vor mir, seine Augen vertraut, trotz der Jahre, die vergangen waren.
Er war jetzt älter, sein Gesicht von den Jahren und dem Bedauern gezeichnet.
Aber er war unmissverständlich.
„Dahlia“, sagte er, seine Stimme rau, wie Kies.
Ich griff nach dem Türrahmen.
„Samuel?“ Ich konnte mich nicht dazu bringen, ihn „Vater“ zu nennen.
Es waren zwanzig Jahre vergangen, seit er aus meinem Leben verschwunden war.
Zwanzig Jahre, seit ich sein Gesicht zuletzt gesehen hatte.
Und jetzt, aus dem Nichts, war er hier.
„Ich muss mit dir reden“, sagte er, seine Stimme leise.
Ich hätte die Tür vor ihm zuschlagen sollen.
Ich hätte ihm sagen sollen, er soll gehen und nie wieder zurückkommen.
Aber etwas in seinen Augen hielt mich davon ab.
Ich trat zur Seite und ließ ihn eintreten.
Er betrachtete meine kleine Wohnung, sein Blick verweilte auf den eingerahmten Fotos auf dem Kamin – Bilder von meiner Mutter, meiner Kindheit, meinem Leben ohne ihn.
„Du siehst ihr genauso ähnlich“, murmelte er.
„Warum bist du hier?“ fragte ich, meine Arme verschränkt.
Er griff in die Tasche seines Mantels und zog einen leicht zerknitterten Umschlag hervor.
„Das ist für dich. Von deiner Mutter.“
Ich runzelte die Stirn. „Meine Mutter ist tot.“
„Sie hat das vor langer Zeit für dich hinterlassen. Ich sollte es dir erst geben, wenn du bereit bist.“
Er stieß ein bitteres Lachen aus.
„Aber ich war auch nicht bereit. Bis jetzt.“
Meine Finger zitterten, als ich den Brief von ihm nahm.
Die Handschrift auf der Vorderseite ließ meinen Magen sich verkrampfen. Es war ihre.
Ich sah ihn an, mein Herz pochte.
„Was ist das?“
„Lies einfach.“
Ich riss den Umschlag auf und entfaltete den Brief darin.
„Meine liebste Dahlia,
*Wenn du das hier liest, bedeutet das, dass die Wahrheit endlich ihren Weg zu dir gefunden hat.
Ich habe dieses Geheimnis so lange mit mir getragen, in der Hoffnung, dich zu schützen, aber du verdienst es, es zu wissen.*
Der Mann, den du Vater nennst, ist nicht dein leiblicher Vater.
Mein Atem stockte.
Meine Augen flogen zurück zu Samuel, aber er sagte nichts.
Er sah nur zu, während sich meine Welt unter meinen Füßen verschob.
*Du wurdest aus Liebe geboren, aber nicht aus der Liebe, an die du geglaubt hast.
Dein wirklicher Vater war ein Mann namens Victor Bellamy.*
Ich las den Namen immer wieder, meine Hände zitterten.
Es war fremd. Der Name eines Fremden.
„Wer ist Victor Bellamy?“ Meine Stimme brach.
Samuel seufzte. „Er war mein bester Freund.“
Er sah weg.
„Und der Mann, den deine Mutter wirklich liebte.“
Ich konnte die Worte kaum fassen.
„Du wusstest es? Du wusstest es die ganze Zeit?“
„Ich habe dich wie mein eigenes Kind großgezogen“, sagte er.
„Weil ich dich geliebt habe. Weil ich sie geliebt habe.
Aber nachdem sie gestorben ist… konnte ich nicht bleiben.
Ich konnte nicht mehr so tun.“
„Also bist du einfach gegangen?“
Meine Stimme wurde lauter, Wut brodelte in mir.
„Du hast mich verlassen, anstatt mir die Wahrheit zu sagen?“
„Ich dachte, es wäre für dich leichter.“
„Leichter?“ Ich lachte bitter und hielt den Brief fest an meine Brust.
„Du hast mir meine Geschichte gestohlen!“
Er sah zu Boden.
„Ich weiß.“
Stille dehnte sich zwischen uns, dick und erstickend.
Ich wandte mich wieder dem Brief zu, die Worte meiner Mutter gaben mir Halt.
*Victor hat nie von dir gewusst.
Ich habe dich geheim gehalten, um dich vor dem Leben zu schützen, das er führte.
Aber wenn du ihn jemals finden willst, habe ich einen Weg hinterlassen.*
Mein Herz pochte, als ich das Ende des Briefes erreichte.
Dort, am unteren Rand, war eine alte, vergilbte Visitenkarte befestigt.
Victor Bellamy.
Ich fuhr mit den Fingerspitzen über den Namen.
„Er lebt?“ flüsterte ich.
Samuel zögerte. „Das letzte Mal, als ich gehört habe, ja.“
Ein Sturm von Emotionen überkam mich.
Wut, Verwirrung, Verrat – aber auch etwas Unerwartetes.
Hoffnung.
Ich sah zu Samuel, dem Mann, der mich belogen hatte, der weggegangen war, anstatt sich der Wahrheit zu stellen.
Ich wusste nicht, ob ich ihm jemals vergeben konnte.
Aber eines wusste ich.
Ich brauchte Antworten.
Ich klammerte mich an die Karte in meiner Hand, meine Entscheidung war gefallen.
„Ich muss ihn finden.“
Samuel nickte, sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar.
„Dann hoffe ich, dass du findest, was du suchst.“
Zum ersten Mal an diesem Tag sah ich etwas in seinen Augen aufblitzen.
Vielleicht Reue. Vielleicht Liebe. Vielleicht beides.
Ich wusste nicht, was die Zukunft brachte.
Aber zum ersten Mal seit langer Zeit war ich bereit, es herauszufinden.
Und egal, wohin die Wahrheit mich führen würde, ich würde diesen Weg auf meine eigenen Bedingungen gehen.