Die Krankenschwester des Rettungsdienstes erkannte in dem Patienten jemanden, den sie lieber nicht retten würde, doch die Gedanken ließen sie nicht los…

INTERESSANT

Darina arbeitete schon mehrere Jahre als Notärztin.

Manchmal dachte sie, sie würde dem Druck nicht standhalten – die Belastung war enorm.

Aber den Beruf zu verlassen war unmöglich: In der Stadt fehlten dringend qualifizierte Mediziner.

In eine Privatklinik zu kommen war fast unmöglich, und als Hausärztin zu arbeiten bedeutete eine doppelte Belastung.

Wer würde sich dann um den kleinen Ruslan kümmern?

Beim Rettungsdienst war es schwer.

Endlose falsche Alarme, wenn jemand einfach nur Spaß hatte, und schwere Fälle, bei denen man buchstäblich jemanden vom Tod zurückholen musste, um ihn lebend ins Krankenhaus zu bringen.

Man denke nur an den gestrigen Tag.

Die Einsätze folgten Schlag auf Schlag.

Der erste – zu einer älteren Frau, die in einem stickigen Zimmer fast erstickte.

Ihr Enkel sah in dieser Zeit ruhig fern und trank Bier, ohne den Kopf zu wenden, während die Ärzte alles taten, um ihren Zustand zu stabilisieren.

Der zweite – zu einer Frau mittleren Alters, die beim Spaziergang mit ihrem Mann plötzlich bewusstlos wurde.

Am Einsatzort angekommen, erkannte Darina, dass nichts mehr zu machen war.

Doch für die Angehörigen – den Ehemann und die Tochter, die vor dem Rettungsdienst angekommen war – begann sie trotzdem mit Reanimationsmaßnahmen: Herzmassage, Injektionen…

Aber die Frau kam nicht wieder zu Bewusstsein.

Nach diesem Einsatz kehrte Darina zur Station zurück und konnte lange nicht zur Ruhe kommen – sie nahm Corvalol und wiederholte sich, dass sie keine Wahl habe.

Sie müsse durchhalten.

Ruslan hängt nur von ihr ab, und sie darf ihren Sohn nicht im Stich lassen.

Also versuchte sie, sich zu sammeln, als der nächste Einsatz kam – ein Verkehrsunfall.

Sie beschloss, nicht mehr alles zu nah an sich heranzulassen.

Sie würde ihr Bestes geben, aber sich nicht nach jedem Einsatz auflösen.

Es gab zwei Verletzte, aber nur einer war schwer verletzt.

Ein Lastwagen war mit einem PKW kollidiert.

Der LKW-Fahrer hatte nur leichte Angst und eine Beule an der Stirn davongetragen, aber der junge Mann am Steuer des kleinen Wagens hatte weniger Glück.

Er lag bewusstlos da, Gesicht und Brust blutverschmiert.

Anzeichen deuteten auf innere Blutungen hin.

Während Darina Medikamente verabreichte, wischte Schwester Katja sein Gesicht ab, hielt Ammoniak unter die Nase, um ihn wieder zu Bewusstsein zu bringen.

Sie mussten feststellen, ob er atmete, wo der Schmerz am stärksten war und welche weiteren Verletzungen vorlagen.

Doch plötzlich erstarrte Darina.

Sie sah genauer hin – und hätte fast die Spritze fallen lassen.

Es war Vladislav.

Der Vlad, der sie früher „Darotschka“ genannt hatte und gesagt hatte, sie sei ein Geschenk des Himmels für ihn.

Dann war er verschwunden, sobald er erfahren hatte, dass sie schwanger war.

Nicht einfach verschwunden – er verweigerte die Anerkennung des Kindes, ignorierte alle ihre Versuche, Kontakt aufzunehmen, und schickte sogar eine grausame Nachricht: „Lass derjenige der Vater sein, mit dem du es dir eingebrockt hast.“

Danach blockierte er sie in allen Messenger-Apps.

Sie hatte sich geschworen, nie wieder zu ihm zu gehen.

Selbst wenn Ruslan schwer krank würde, würde sie eher in der Kirche um Almosen bitten, als seine Nummer zu wählen.

Und nun hatte das Schicksal sie wieder zusammengeführt.

Katja schüttelte sie am Ärmel und fragte, wie man den Tropf anschließt.

Vlad’s Leben hing von ihr ab.

Wären sie im Krankenhaus, hätte sie den Patienten einem anderen Arzt übergeben.

Doch jetzt gab es keine Optionen.

Nur sie und die Entscheidung, die getroffen werden musste.

Darina dachte nicht daran, wie sich sein Leben in all den Jahren entwickelt hatte.

Vielleicht hatte er jetzt eine Familie, Kinder.

Aber eines wusste sie genau: Sie durfte ihrem Sohn nicht sagen: „Ich habe deinen Vater getötet, obwohl ich ihn hätte retten können, aber nicht wollte.

Ich wollte Rache.“

Sie saß neben ihm auf den Knien, als würde sie die Entscheidung abwägen.

Dann stand sie abrupt auf:

„Trage! Schnell!“

Die Umstehenden halfen bereitwillig.

Gemeinsam mit Petja, dem Fahrer des Rettungswagens, luden sie den Verletzten vorsichtig ins Auto.

Die Sirene heulte, und der Wagen raste ins Krankenhaus.

Auf der Fahrt verabreichte Darina die nötigen Medikamente, Schmerzmittel, überwachte den Puls.

Vlad kam nicht wieder zu Bewusstsein, keuchte nur vor Schmerz: „Es tut weh… so weh…“

Im Krankenhaus warteten sie bereits.

Der Patient wurde sofort zum Röntgen geschickt, dann in den Operationssaal.

„Jetzt müssen wir das ganze Auto reinigen, es ist voller Blut“, seufzte Petja.

„Und was ist das?“

„Ein Medaillon, glaube ich, hat er fallen lassen.“

Darina blickte auf den Anhänger.

Ein schlichter Metallanhänger an einer dünnen Kette.

Sie erkannte ihn sofort.

Als sie zusammen studierten, hatte sie kein Geld, also hatte sie selbst so ein bescheidenes Geschenk bestellt.

Darauf waren ihre Initialen eingraviert – ihre und Vlads.

„Gib ihn mir“, streckte sie die Hand aus. „Ich bringe ihn dem Besitzer, wenn ich im Krankenhaus vorbeischaue.“

Aber persönlich gab sie nichts weiter.

Sie gab den Anhänger einer befreundeten Pflegerin und bat sie, ihn zu übergeben.

Sie erfuhr, dass Vlad operiert worden war, ihm wurde die Milz entfernt, ein Gips wurde angelegt.

Er würde lange liegen müssen.

Darina ging zu Fuß nach Hause.

Sie musste ihre Gedanken ordnen.

Den Anhänger zurückzugeben war natürlich dumm – ein Kinkerlitzchen, aber Vlad hatte ihn viele Jahre getragen.

Vielleicht aus Gewohnheit?

So ist das manchmal – man trägt etwas, ohne es zu bemerken.

Als sie sich an alles erinnerte, dachte sie an ihre Großmutter.

Genau sie hatte Darina unterstützt, als diese von der Schwangerschaft erfuhr.

Natürlich hatte das Mädchen nicht vor, das Kind abzutreiben, aber die Angst war riesig.

Studium, Stipendium, kein einziger Cent übrig…

Wie sollte sie Studium und Mutterschaft vereinbaren?

Sie wechselte an eine andere medizinische Hochschule – dort, wo die Großmutter lebte.

„Wir kommen schon durch!“, sagte die alte Dame. „Ein Dach über dem Kopf haben wir, Rente auch. Es ist kein Krieg, es gibt genug Lebensmittel.“

Und tatsächlich kamen sie durch.

Manchmal aßen sie nur Grütze oder Kartoffeln mit Gurken, aber sie hielten durch.

Die Großmutter passte auf Ruslan auf, während Darina sich auf Prüfungen vorbereitete.

Und Ruslan schloss sie von ganzem Herzen ins Herz.

Schade, dass sie schon lange nicht mehr lebt.

Jetzt jedoch schien das Schlimmste überstanden zu sein.

Darina war in ihre Heimatstadt zurückgekehrt – dort blieben Freunde, gute Universitäten, an denen ihr Sohn eines Tages studieren würde.

Jahre würden vergehen.

Sie würde Ruslan erziehen, ihm eine Ausbildung ermöglichen, ihn glücklich machen – auch wenn er keinen Vater hatte.

Am Abend rief Pflegerin Natalja an:

„Darina Alexejewna, ich habe alles wie besprochen gemacht – den Anhänger übergeben.

Er hat sich so gefreut, er war den Tränen nahe!

Er sagte: ‚Ein sehr wertvoller Gegenstand für mich.‘

Und sofort fragte er: Wo gefunden?

Als ich ihm erklärte, dass Sie es übergeben haben, drängte er richtig – wollte Ihre Telefonnummer und Adresse.

Aber ich habe nichts gesagt, keinen Hinweis gegeben.

Ohne Ihre Erlaubnis – auf keinen Fall.

Das habe ich ihm auch gesagt.“

„Sie haben richtig gehandelt, Tante Natascha“, antwortete Darina langsam. „Seinen Dank brauche ich nicht.“

Die Tage vergingen, aber Darina konnte das Geschehene nicht völlig vergessen.

Die Begegnung mit der Vergangenheit hatte sie bis ins Mark erschüttert.

Doch sie erinnerte sich entschlossen daran, dass die einst getroffene Entscheidung endgültig war.

Sie würde keine Begegnung mit Vlad suchen, nicht in der Vergangenheit wühlen.

Aber warum wollte er den Kontakt zu ihr?

Vielleicht war er einsam?

Oder das Familienleben hatte nicht funktioniert, und da erinnerte er sich an frühere Gefühle?

Oder wollte er einfach den Alltag mit einer neuen Affäre auflockern?

Was auch immer der Grund war – es war gut, dass die Pflegerin ihm ihre Kontaktdaten nicht gegeben hatte.

Der Weg in die Vergangenheit war versperrt.

Deshalb war sie sehr überrascht, als sie eines Morgens in der Nähe der Notfallstation Vlad persönlich sah.

Er saß auf einer Bank, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten – mager, blass, abgezehrt.

In seinen Händen hielt er einen riesigen Rosenstrauß.

Darina trat unbemerkt näher.

Wenn das Gespräch unvermeidlich war, war es besser, es selbst zu beginnen.

„Bist du meinetwegen gekommen?“ fragte sie direkt.

Vlad stand hastig auf.

Groß, erschöpft, stand er vor ihr ohne frühere Selbstsicherheit, ohne Trotz.

Sein Blick war müde, aber aufmerksam.

„Wie geht es dir?“ fragte sie und blickte unwillkürlich auf die Blumen.

„Danke, fast wieder gesund“, antwortete er. „Mach dir keine Sorgen, ich gehe gleich.

Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht.

Darf man nach all den Jahren nicht wenigstens einmal einen Blick auf dich werfen?

Einfach nur kurz dastehen…

Zur Erinnerung an das, was war?“

„Du hast kein Recht dazu“, sagte sie scharf. „Nachdem du mich als Frau bezeichnet hast, die nicht mal weiß, von wem sie schwanger ist…

Das vergisst man nicht.“

„Was?“ fragte er erschüttert. „Meinst du das ernst?

Das habe ich gesagt?“

„Oh, tu jetzt nicht so, als ob du dich nicht erinnerst.

Wenn dich die Jahre ein wenig klüger gemacht haben und du verstanden hast, was für ein Schuft du warst – dann nehme ich die Entschuldigung an.

Aber mehr kann zwischen uns nicht sein.“

— Warte, — hielt er sie auf.

— Wir müssen reden.

Hier liegt ein furchtbares Missverständnis vor.

Aber lass uns bitte nicht hier und nicht jetzt darüber sprechen.

Du gehst zur Arbeit?

Wann bist du fertig?

— In 24 Stunden.

Morgen um acht Uhr morgens.

Und glaub mir, nach der Schicht habe ich keine Kraft mehr für irgendwelche Gespräche.

Aber schon am nächsten Morgen, kurz nach acht, kaum dass Darina das Krankenhaus verlassen hatte, sah sie Vlad wieder.

Er wartete auf sie.

— Lass uns irgendwohin fahren, wo wir in Ruhe reden können, — schlug er vor.

— Ich fahre nirgendwo mit dir hin.

Erstens bist du ein furchtbarer Fahrer.

Zweitens bin ich so müde, dass ich sogar im Stehen einschlafen könnte.

Drittens…

Aber Vlad hörte nicht zu, nahm sie bei der Hand und führte sie zum Auto.

— Du hast doch deinen Wagen zu Schrott gefahren, — spottete sie.

— Hast du schon wieder ein neues geklaut?

— Ich habe mir eins von einem Freund geliehen.

Er brachte sie in den Park, in dem sie früher oft spazieren gegangen waren.

Während er Kaffee und Eis holte, wartete Darina auf einer Bank.

Als er zurückkam, setzte sich Vlad neben sie.

— Lass uns das klären, — sagte er.

— Wir hatten damals verabredet, uns genau hier, auf dieser Bank, zu treffen.

Aber ich wurde krank — Blinddarm.

Ich kam ins Krankenhaus.

Mein Handy hatte ich zu Hause gelassen, also bat ich Tamara, dir zu sagen, dass ich im Krankenhaus liege und mich bald melde.

— Und mir hat Toma gesagt, dass du mit einer anderen ans Meer gefahren bist und dass du mein Kind nicht willst.

Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber du hast nicht geantwortet.

Und dann kam diese eine Nachricht… — Darinas Stimme zitterte.

— Und mir hat Tamara erzählt, dass du mit einem Mann, den du liebst und der der Vater deines Kindes ist, nach Zypern geflogen bist.

Ich bin fast verrückt geworden.

Sie schwiegen, sahen sich an.

— Jetzt ist alles klar, — sagte Vlad schließlich.

— Tomka wollte, dass ich ihre Freundin heirate.

Also hat sie uns auseinandergebracht.

Am Ende — zwei zerstörte Leben.

Ich habe seitdem niemanden mehr geliebt.

Und du?..

Hat sich bei dir alles gefügt?

— Komm, — Darina stand auf.

— Fahr mich nach Hause.

Du lernst deinen Sohn kennen.

Meinen Mann gibt es nicht, also brauchst du dir keine Sorgen zu machen.

Im Auto, während er sie küsste, fragte Vlad:

— Und was machen wir mit Tamara?

Im Brunnen ertränken?

— Versuchen wir es erst mal mit Verstehen und Verzeihen, — ahmte sie mit einem Lächeln den bekannten Spruch nach.

Sie lachten.

Und zehn Minuten später, als Vlad den Jungen sah, der ihnen die Tür öffnete, wusste er sofort — das war er selbst, nur in Miniatur.

Die Ähnlichkeit war verblüffend.

Als er Ruslan ansah, voller Kraft und Möglichkeiten, fühlte Vlad zum ersten Mal seit vielen Jahren, dass man die Zeit doch zurückdrehen kann.

Er und Darina konnten auch von vorne anfangen.

Er kniete sich vor den Jungen und reichte ihm die Hand:

— Na, hallo, Ruslan Vladislawowitsch…

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