Der Winterwind biss in meine Wangen, als ich an der Reihe von geparkten Autos und verstreuten Mülleimern vorbeiging, die die schwach beleuchtete Gasse säumten.
Ich hatte diesen Teil der Stadt nachts immer gemieden, aber heute war es anders.
Es gab eine Wohltätigkeitsveranstaltung in meinem Büro, und ich hatte mich freiwillig gemeldet, eine Kiste mit Decken und Jacken im Obdachlosenheim ein paar Straßen weiter abzugeben.
Meine Arme waren voll, als ich mich der Hintertür des Heims näherte.
Dann sah ich sie.
Sie saß auf dem Boden, ihre Knie an ihre Brust gezogen, eingehüllt in das, was wie ein dünner, zerrissener Schal aussah.
Ihr Kopf war gesenkt, und ihr silbernes Haar fiel in lockeren, ungepflegten Wellen um ihr Gesicht.
Sie sah nicht auf, als ich stehen blieb.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich sanft und beugte mich zu ihr hinunter.
„Möchten Sie eine Decke?“
Langsam hob sie den Kopf und zeigte ein Gesicht, das von Entbehrungen und Müdigkeit gezeichnet war.
Ihre durchdringend blauen Augen trafen mich unerwartet.
Sie waren erschreckend vertraut, aber ich konnte nicht sagen, warum.
„Danke“, murmelte sie, ihre Stimme rau, als ob es lange her war, seit sie mit jemandem gesprochen hatte.
Ich reichte ihr eine der dicken Wolldecken aus der Kiste, und sie griff sie fest, ihre Hände zitterten.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte ich, zögerlich, aber besorgt.
Sie nickte kurz und blickte weg, als ob sie sich schämte, gesehen zu werden.
Ich drängte nicht weiter.
Stattdessen schenkte ich ihr ein kleines Lächeln und stand auf, um zu gehen.
Aber als ich mich umdrehte, fiel mein Blick auf etwas in ihrem Schoß – ein zerknülltes Papier, das aus der abgenutzten Lederhandtasche an ihrer Seite ragte.
Es war nicht das Papier selbst, sondern der Blick auf ein Foto an der Kante, der mir den Magen umdrehte.
„Ist das…?“ begann ich, die Worte blieben mir im Hals stecken.
Ohne nachzudenken, kniete ich mich wieder hin und deutete auf die Tasche.
„Es tut mir leid, darf ich dieses Bild sehen?“
Sie zögerte, ihre Stirn runzelte sich vor Verwirrung.
Dann, als ob sie die Dringlichkeit in meiner Stimme spürte, zog sie das Foto aus ihrer Tasche und reichte es mir.
Meine Hände zitterten, als ich es hielt.
Es war ein altes, verblasstes Foto eines kleinen Mädchens, nicht älter als sieben Jahre, in einem gelben Sommerkleid mit Gänseblümchen.
Ihr Haar war in zwei ungleiche Zöpfe gebunden, und sie grinste breit, ohne einen Frontzahn.
Es war ich.
Da gab es keinen Zweifel.
Das war ein Bild von mir aus meiner Kindheit.
Ich erinnerte mich an den Tag, an dem es aufgenommen wurde – mein Vater hatte es während eines Picknicks im Park gemacht.
Ich hatte Limonade auf mein Kleid verschüttet und lachte so sehr, dass es mir egal war.
„Woher hast du das…?“, fragte ich, meine Stimme zitterte.
Die Frau sah mich an, ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten.
„Ich habe es schon seit Jahren“, sagte sie leise.
„Aber wie?“ drängte ich, mein Herz pochte in meiner Brust.
Sie zögerte, ihre Augen flackerten mit etwas – Wiedererkennung?
Traurigkeit?
„Ich wusste nicht, wer sie war“, gab sie zu und deutete auf das Foto.
„Ich habe es einfach… behalten.
Es fühlte sich wichtig an.“
Ich starrte sie an und versuchte zu verstehen, was sie sagte.
Warum sollte diese Frau – eine völlige Fremde – ein Foto von mir aus meiner Kindheit haben?
Und warum kam sie mir so vertraut vor?
An diesem Abend konnte ich nicht aufhören, an sie zu denken.
Die Begegnung hatte mich erschüttert, und das Foto war jetzt sicher in meiner Tasche, die Ränder abgenutzt, aber immer noch unmissverständlich mein.
Ich kramte in einer alten Schuhschachtel mit Familienfotos, als ich nach Hause kam, auf der Suche nach dem Original.
Es war da, genau wie ich es in Erinnerung hatte, in einwandfreiem Zustand.
Aber wie konnte es zwei identische Fotos geben?
Am nächsten Tag ging ich zurück in die Gasse, in der Hoffnung, sie wiederzufinden.
Sie war immer noch da, saß an derselben Stelle mit der Decke fest um sich gewickelt.
„Ich muss mehr wissen“, sagte ich sanft, als ich mich neben sie hockte.
„Über das Foto.
Bitte.“
Sie sah mich einen langen Moment lang an, seufzte dann tief.
„Wie heißt du?“ fragte sie.
„Rebecca“, antwortete ich.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln.
„Rebecca“, wiederholte sie, als ob der Name eine Erinnerung war, die sie zu fassen versuchte.
„Ich kannte mal eine Rebecca.
Ein kleines Mädchen.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus.
„Meinst du mich?“ fragte ich, fast ängstlich vor ihrer Antwort.
Sie schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, nicht genau.
Aber… vielleicht.
Ich bin mir nicht sicher.“
Ihre Worte ergaben keinen Sinn, aber es gab eine Aufrichtigkeit in ihrer Stimme, die ich nicht ignorieren konnte.
„Kannst du mir irgendetwas über sie erzählen?
Das Mädchen?“
Die Frau zögerte, dann zog sie etwas anderes aus ihrer Tasche – ein altes, abgenutztes Notizbuch.
Sie blätterte durch die Seiten, die Kritzeleien, Skizzen und Ausschnitte zeigten.
Eine Seite zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Es war eine grobe Zeichnung einer Gänseblume, der gleichen Blume auf dem Kleid, das ich auf dem Foto trug.
„Ich habe nach ihr gesucht“, gab die Frau zu, ihre Stimme kaum hörbar.
„Seit Jahren.
Ich weiß nicht warum, aber ich wusste, dass sie wichtig war.“
Mein Kopf raste vor Fragen.
Wer war diese Frau?
Warum dachte sie, sie kannte mich?
Und warum fühlte ich, dass eine Verbindung zwischen uns bestand, die ich nicht erklären konnte?
In den nächsten Wochen besuchte ich sie regelmäßig, brachte ihr Essen und saß mit ihr in der kalten Gasse.
Kleinere Teile ihrer Geschichte begannen sich zu zeigen.
Ihr Name war Margaret.
Sie war in einer kleinen Stadt aufgewachsen, hatte aber den größten Teil ihres Erwachsenenlebens damit verbracht, von Ort zu Ort zu ziehen, kämpfend mit psychischen Krankheiten und Obdachlosigkeit.
Ihre Erinnerungen waren fragmentiert, wie ein Puzzle mit zu vielen fehlenden Teilen.
Aber eines war klar – sie glaubte, sie hätte ein Mädchen namens Rebecca gekannt, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, wann oder wo.
Eines Nachmittags, als wir zusammen saßen, sagte sie etwas, das mir das Herz stehen ließ.
„Ich habe einmal auf ein Mädchen namens Rebecca aufgepasst“, murmelte sie, ihre Augen waren in die Ferne gerichtet.
„Sie war das süßeste kleine Ding.
Sie liebte Gänseblümchen.“
Meine Brust zog sich zusammen.
„Margaret“, sagte ich langsam, „wie alt warst du, als du auf sie aufgepasst hast?“
Sie runzelte die Stirn und dachte nach.
„Vielleicht… zwanzig.
Es war lange her.“
Ich rechnete schnell im Kopf.
Wenn sie damals in ihren Zwanzigern war, hätte sie alt genug gewesen sein, um auf mich aufzupassen, als ich ein Kind war.
Und plötzlich machte es klick.
„Margaret“, flüsterte ich, meine Stimme zitterte, „hast du jemals für eine Familie mit dem Nachnamen Harper gearbeitet?“
Ihre Augen weiteten sich, und zum ersten Mal flackerte wahre Wiedererkennung auf ihrem Gesicht.
„Ja“, sagte sie, ihre Stimme brach.
„Ja, das habe ich.
Sie hatten ein kleines Mädchen… Rebecca Harper.“
Tränen strömten über mein Gesicht, als die Erkenntnis mich traf.
Margaret war nicht nur eine Fremde.
Sie war meine Babysitterin.
Ich erinnerte mich kaum an sie, aber sie hatte sich um mich gekümmert, als ich ein Kind war, und irgendwie, durch all die Jahre und Schwierigkeiten, hatte sie dieses Foto von mir aufbewahrt.
Margarets Geschichte endete nicht in der Gasse.
Mit der Hilfe des Heimpersonals bekam ich sie in ein vorübergehendes Wohnprogramm, und langsam begann sie, ihr Leben wieder aufzubauen.
Das Foto von mir – das sie jahrzehntelang getragen hatte – sitzt jetzt in einem Rahmen auf meinem Schreibtisch, eine Erinnerung an die unerwarteten Verbindungen, die das Leben bringen kann.
Und Margaret?
Sie sagt, dass sie endlich das Gefühl hat, ihren Weg nach Hause gefunden zu haben.